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Pestizide – überall auf der Welt sind sie auf dem Vormarsch

Artikel der Grünen im Mitteilungsblatt vom 16.01.2020

Viele kennen Alexander Schiebel durch sein Buch und den gleichnamigen Dokumentarfilm „Das Wunder von Mals“. Dafür soll er jetzt vor Gericht. Um was geht es? Das Südtiroler Dorf Mals will als erste Gemeinde Europas den Einsatz von Pestiziden verbieten. Die Dorfbewohner wollen diese Art der Landwirtschaft, die, wie in ganz Südtirol, von Apfelmonokulturen geprägt ist und einen hohen Pestizideinsatz erfordert, auf ihrer Gemarkung nicht mehr mitmachen. A. Schiebel erzählt in Wort und Bild die Geschichte des „Aufstandes“, von ihren Bewohnern und ihrem Kampf durch die Instanzen.

In einer Volksabstimmung hatten sich 76 Prozent der Bewohner des Dorfes für eine Zukunft ohne Glyphosat & Co ausgesprochen. Auch der Gemeinderat einschließlich Bürgermeister hat mehrheitlich so entschieden. Das Urteil, ob eine Gemeinde das überhaupt für sich entscheiden kann, fällt letztendlich in der Landeshauptstadt Bozen oder vielleicht sogar vor dem Bundesgericht.

Ende letzten Jahres hat nun der Landwirtschafts-Landrat und der Bauernbund Südtirol eine Klage gegen Alexander Schiebel eingereicht. Der gebürtige Wiener soll laut Staatsanwaltschaft angeklagt werden, weil er das Ansehen der Tiroler Bauern verletzt hat. Die in Bozen erscheinende „Tageszeitung“ meldete am1.Januar: „Über den Antrag auf Einleitung eines Hauptverfahrens wird am 19. März am Landgericht Bozen entschieden.“

Tatsächlich aber geht es um Monopole und Marktanteile, wie übrigens auch beim Kampf der Kohle- und Atomkonzerne um den Betrieb ihrer Meiler. Immer wieder stehen dann große Verbände auf der Seite der Konzerne und es sieht so aus, als würden 1600 Südtiroler Bauern um ihr Ansehen kämpfen, obwohl es eigentlich um Marktmacht und Politik geht. (RS)

Flüchtlingskrise endlich anpacken!

Artikel der Grünen im Mitteilungsblatt vom 05.03.2020

Lange haben sich die Verantwortlichen in Deutschland davor gedrückt, die Flüchtlingskrise in Griechenland zur Kenntnis zu nehmen. Das rächt sich nun: Das seit langem offensichtliche Drama der Überlastung der griechischen Inseln ist nun unhaltbar geworden, die Flüchtlinge verzweifeln an ihrem Elend, Kinder verfallen in Apathie, Erwachsene werden aggressiv, und die griechische Bevölkerung der Inseln sieht die Grenze ihrer Belastbarkeit überschritten. Sie alle sehen sich von der EU im Stich gelassen und sie haben recht.

Dazu kommt jetzt Erdogans Schritt, die Grenzen zu öffnen und das Flüchtlingsabkommen aufzukündigen. Annalena Baerbock fordert in dieser Situation: „Die Europäische Union ist in der Pflicht, Griechenland bei der Bewältigung der Lage mit allen Mitteln zu unterstützen – finanziell, personell, mit Hilfsgütern und Material. In der chaotischen Situation muss die EU Ordnung und Humanität walten lassen. Das ist angesichts der katastrophalen Lage allein in den Lagern auf den griechischen Inseln eine immense Aufgabe. Aber wir können nicht weiter so tun, als ginge uns das nichts an. Es geht hier nicht um ein Problem Griechenlands, sondern es geht an den Außengrenzen um die ganze EU. Wenn wir Griechenland jetzt allein lassen, produzieren wir weiteres Chaos, Unsicherheit und Instabilität. Konkret gilt es, unter Hochdruck Erstaufnahmeeinrichtungen an den EU-Außengrenzen aufzubauen. Dort müssen Flüchtlinge, die über die Grenze gelangen, schnell registriert, einer Sicherheitsprüfung und einem Datenabgleich unterzogen werden; selbstverständlich müssen wir wissen, wer zu uns kommt. Es braucht eine humane Erstunterbringung mit medizinischer Versorgung.“

Die EU-Länder müssen sich schnell einigen, so dass die Flüchtlinge auf verschiedene Länder verteilt werden um dort Asylverfahren durchzuführen. Das muss auch in den EU Haushaltsberatungen eine Rolle spielen. Länder, die keine Geflüchteten aufnehmen, müssen zumindest finanziell beteiligt werden.

Erdogan treibt zwar ein übles Spiel, indem der Flüchtlinge als Druckmittel gegen die EU einsetzt, doch man muss auch erkennen, dass die Türkei mindestens 3,7 Millionen Syrer bereits aufgenommen hat, und nun steht eine weitere Fluchtwelle bevor. Kein Wunder, dass er diesen Druck weitergeben will. Ob er mit militärischen Mitteln weitere Fluchtbewegungen aus Syrien stoppen kann und wie sich Russland verhalten wird, das steht noch in den Sternen. (WH)

Was uns unsere Werte wert sind

Artikel der Grünen im Mitteilungsblatt vom 12.03.2020

Die christlich-demokratische Präsidentin der EU-Kommission Ursula von der Leyen verkündete am 3. März stolz, dass die Europäische Union 700 Millionen Euro für Grenzschutz ausgeben will. Es klang, als würde der Kontinent von fremden Mächten angegriffen. In Wahrheit sind es Menschen in Not, die sich der Staatenbund vom Hals halten will.

Am 5. März beschloss das Parlament der Bundesrepublik Deutschland einen Antrag der Grünen abzulehnen, in welchem gefordert wurde, die Republik möge, wegen der sich zuspitzenden Situation an der türkisch-griechischen Grenze, 5000 besonders schutzbedürftige Flüchtlinge aufnehmen. Gegen den Antrag hatten nicht nur die menschenverachtende AfD, sondern auch die sich christlich nennenden CDU und CSU und die angeblich für internationale Solidarität einstehenden Sozialdemokraten, die SPD, gestimmt. Man muss bezweifeln, dass die Abstimmung im Bundestag dem Willen der Parteimitglieder der drei Volksparteien entspricht. Denn sonst hätten wir eine Situation, in der Werte wie Nächstenliebe und Brüderlichkeit für die, die sich diese einst an die Fahnen geschrieben haben, nichts mehr wert wären. Oder nur etwas bedeuten würden, wenn es um die Not von EU-Bürgern ginge. Die Pastorin Annette Behnken in der Sendung „Das Wort zum Sonntag“ vom 7. März scheute sich nicht, ihr Entsetzen darüber, dass nicht einmal den Schwächsten, den Kindern, geholfen würde so auszudrücken: „Ich könnte kotzen.“

Dennoch, kotzen allein reicht nicht.

Seit 2018 lassen sich immer mehr Städte und Gemeinden zu sogenannten Sicheren Häfen erklären. Mittlerweile sind es deutschlandweit 138 an der Zahl. Einer davon ist Mannheim. Die Sicheren Häfen erklären sich bereit, mehr Flüchtlinge aufzunehmen, als sie es rechtlich müssten und sich darüber hinaus für Seenotrettung einzusetzen. Sie sagen "Wir wohnen in einem der reichsten Ländern der Welt und wir haben Platz". Sie protestieren seit Tagen gegen die Herzlosigkeit der Politiker. Sie übernehmen moralische Verantwortung, wenn sich die Republik dieser entzieht. Sie zeigen, dass es in Europa Menschen gibt, denen Wörter wie Nächstenliebe und Solidarität noch etwas bedeuten.

Man weiß nicht, ob es die Proteste der Menschen oder die klaren Worte der Pfarrerin waren; in der Nacht zum Montag den 9. März hat die Große Koalition beschlossen, dass Deutschland bis zu 1500 schutzbedürftige Kinder aus den griechischen Lagern aufnimmt. Dass ist gut, aber lange nicht genug.(Jenny Elster)

Europas Schande

Artikel der Grünen im Mitteilungsblatt vom 19.03.2020

Plötzlich wurde letzte Woche in Edingen-Neckarhausen wie in der ganzen Bundesrepublik die eine Veranstaltung nach der anderen gecancelt, denn soziale Kontakte sollten auf das Nötigste reduziert werden. Dennoch trafen sich am Mittwoch 1000 Personen, um über eine Krise zu reden, die nicht Corona-Epidemie heißt, aber Gefahr läuft, durch diese vollkommen aus der Aufmerksamkeit der Europäer verdrängt zu werden und auch verschlimmert zu werden. Das Gespräch, das die Überschrift ”Europas Schande” trug, wurde über das Internet geführt. Dazu eingeladen hatte der grüne Europaparlamentarier Sven Giegold. Dabei waren Erik Marquardt (ebenfalls MdEP für die Grünen), Carola Rackete (Kapitänin der Sea-Watch 3) und Carolin Emcke (Journalistin) und um die tausend interessierte Zuhörer.

Erik Marquardt befindet sich auf Lesbos, wo 20.000 Flüchtlinge in vollkommen überfüllten Lagern ausharren. Er beschrieb, wie Erdogans Drohung, Millionen Flüchtlinge nach Europa zu schicken und die martialischen Reaktionen der griechischen Regierung dazu geführt haben, dass Rechtsradikale u.a. aus Deutschland sich ermutigt fühlten, auf der Insel Angst und Schrecken zu verbreiten. Carola Rackete berichtete, dass wegen Corona Rettungsschiffe trotz nachgewiesener Nichtansteckung der Crewmitglieder in Quarantäne gesetzt werden und nicht aufs Meer dürfen. Auch wenn es schmerzt; Europäer sollten wissen, dass seit 2014 über 20.000 Menschen vor der Südgrenze des Kontinents ertrunken sind und dass es die europäische Seenotrettung nicht mehr gibt. Carolin Emcke sprach davon, wie spätestens seit dem Deal mit Erdogan 2016, das Asylrecht Europas nur simuliert werde.Der Deal sollte den Europäern Zeit kaufen, um eine Lösung zu suchen. Sie wurde nicht gefunden. Es ist sehr erfreulich, dass es Menschen, wie die oben zitierten gibt, die sich trauen, genau hinzuschauen und zu helfen.

Fest steht: Das Ergebnis des europäischen Versagens ist, dass Menschen, die vor Krieg und Elend in Gummibooten über das Mittelmeer geflohen sind und das überlebt haben, nicht weiter kommen, sondern auf den griechischen Inseln feststecken und nun Gefahr laufen, von Rechtsradikalen, verprügelt zu werden.

Und als wäre das alles nicht genug, kommt Corona dazu.

Am Ende der Woche, in der Europa erst sich darüber entsetzte, dass die USA es wagten, uns die Einreise zu verweigern und dann anfing die eine Binnengrenze nach der anderen zu schließen, forderte die Organisation "Ärzte ohne Grenzen" die sofortige Evakuierung der Flüchtlingslager auf den griechischen Inseln. Denn Menschen, die auf engstem Raum und ohne ausreichend Wasser, Seife, Desinfektionsmittel und Ärzte hausen, sind der "ideale Nährboden für COVID-19." sagen die Ärzte. Und sie schlussfolgern: "Es grenzt an eine kriminelle Handlung, wenn nichts unternommen wird, um die Menschen zu schützen.”

Hört ihnen jemand zu? (JE)

Stillstand, Ängste, Chancen

Artikel der Grünen im Mitteilungsblatt vom 19.04.2020

Wie die ganze Welt ist auch unser kleines Edingen-Neckarhausen von den Auswirkungen der Pandemie betroffen: berechtigte Existenzängste, Überforderung mit der häuslichen Situation, soziale Isolation.Die Bewohner unserer Gemeinde halten sich vorbildlich an die geltenden Vorschriften und Einschränkungen. Manche unserer Mitbürger*innen sind mit ihrem unermüdlichem Einsatz im Gesundheits- Versorgungs- und Sozialwesen die Helden unserer Tage. Wir danken von ganzem Herzen hierfür! Andere wiederum befinden sich in häuslicher Isolation, sind mit der Betreuung der Kinder auf das Äußerste gefordert, fürchten zudem um ihren Arbeitsplatz. Musiker und Künstler, die es bisher klaglos hingenommen haben, sich für die Bereicherung unseres kulturellen Lebens finanziell extrem zu bescheiden stehen vor dem Abgrund. Ähnlich ergeht es den Solo- und Kleinunternehmern, die mit ihren kleinen Läden und Gewerbebetrieben Farbe und Leben in die Gemeinde brachten. Den Bauern fehlen jetzt Saisonarbeiter für die Ernte. Die angebotene Nachbarschaftshilfe ist überwältigend, die staatlichen Maßnahmen sind beeindruckend, aber es wird noch mehr Unterstützung brauchen. Was können wir tun? Noch gibt es auf lokaler Ebene kein Konzept, wir hoffen aber, dies gemeinsam mit allen Fraktionen und Verwaltung entwickeln zu können. Jeder, der für sich die Möglichkeit sieht zu helfen, sollte nicht zögern, etwas beizutragen, sei es mit Gutscheinen im Sinne einer Vorauskasse in schweren Zeiten, heute bereits unseren Jahresbedarf an Schreibwaren, Büchern, Blumen, Musikstunden und vielem mehr einfach voraus zu zahlen. Im Sinne eines Vertrauensvorschusses und einer Solidaritätsbekundung. Auch für Kinderbetreuung fallen jetzt Kosten ohne Leistung an. Die Landesregierung hat dafür ein „Hilfsnetz für Familien“ bereitgestellt, das unter anderem die Familien von Kinderbetreuungskosten für die Monate März und April entlasten und den Kitas den Fortbestand sichern soll.Die Welt ist still geworden. Ein Freitagnachmittag fühlt sich an wie ein früher Feiertag-Morgen. Der Himmel ist blau, keine Kondensstreifen durchschneiden ihn. Die Menschen sind freundlich, dankbar um ein Gespräch. Gedanken: Unser Kleiderschrank ist voll, wir brauchen kein neues T-Shirt. Ich darf nicht reisen, stattdessen radle ich durch unsere Streuobstwiesen, entdecke mein Umfeld neu rieche und spüre die Jahreszeit. Die Natur darf atmen. Vielleicht begreifen wir alle nun, was zählt? Wir sehen eine Zukunft, die auch für unsere Enkel lebenswert ist? Genießen unser Essen, das vor unserer Haustür mit viel Arbeit aber ohne Gifte, angebaut wurde? Wir denken mehr darüber nach, was wir wirklich brauchen. Wir wünschen Euch allen gute Gesundheit und ein frohes Gemüt, trotz oder wegen allem! (BJ)

Menschen schützen, europäische Werte wahren

Artikel der Grünen im Mitteilungsblatt vom 09.04.2020

Das Bündnis Sicherer Hafen Mannheim fordert in einem offenen Brief Ministerpräsident Kretschmann auf, ein Landesaufnahmeprogramm für besonders schutzbedürftige Flüchtlinge in Gang zu setzen. Das Bündnis fürchtet um die Gesundheit der Flüchtlinge, die auf den griechischen Inseln in überfüllten Lagern hausen. Die Europäische Kommission beteuert zwar neuerdings, sie würde für die Sicherheit der Flüchtlinge vor Covid-19 sorgen - passiert ist aber noch nichts.

Die Sicheren Häfen sind Städte und Gemeinden, die sich dafür einsetzen, dass es im Mittelmeer eine Seenotrettung gibt. Sie erklären sich außerdem bereit, mehr Flüchtlinge aufzunehmen als sie es müssen. Es gibt im Moment 142 Sichere Häfen in Deutschland, 21 davon in Baden-Württemberg. In diesen Tagen, wenn die Situation in und vor Griechenland immer schlimmer wird, rufen sie laut, dass sie Platz haben und helfen können. Flüchtlinge aus den Camps aufnehmen dürfen sie trotzdem nicht. Das Ganze scheitert am Bundesinnenministerium.

Deshalb fordert das Bündnis Sicherer Hafen Mannheim außerdem Herrn Kretschmann auf, im Juni für eine Gesetzesänderung zu stimmen, welche Länder und Kommunen erlaubt, Flüchtlinge aufzunehmen - ohne Einvernehmen des Bundesinnenministeriums.

Bündnis90/Die Grünen in Edingen-Neckarhausen und die Offene Grüne Liste Edingen-Neckarhausen begrüßen die Initiative und unterstützen den offenen Brief an Ministerpräsident Kretschmann in seiner Gesamtheit. Aus Platzgründen kann der Brief an dieser Stelle leider nicht abgedruckt werden. Bitte lesen Sie ihn auf unserer Homepage (siehe unten).(JE)

Wie verändert uns die Krise? Wie kann unsere Gesellschaft resilienter werden?

Artikel der Grünen im Mitteilungsblatt vom 16.04.2020

Wir müssen in diesen Zeiten dem Reflex widerstehen, die Pandemie als Beweis für das zu nehmen, was wir schon immer meinten zu wissen. Das Virus ist nicht die Strafe Gottes oder der Rückschlag der Natur gegen die Menschen. Es ist weder vom Kapital gesteuert, noch kämpft es für die klassenlose Gesell­schaft, es beweist weder den Klimawandel noch die Gefahr der Globalisierung, aber es hat doch mit all­dem zu tun.

Alles spricht dafür, dass auf einem Wildtiermarkt in Wuhan von einem Tier auf einen Menschen überge­sprungen ist und sich dann über die Wege des globalen Luftverkehrs in alle Welt verbreitet hat. Jane Goodall, die berühmte Gorillaforscherin sagt: Die Einengung von Lebensräumen für Tiere, die Jagd und der Verkauf lebender Wildtiere sowie die Massentierhaltung erhöhen das Risiko , dass Viren von Tieren auf Menschen überwechseln und sich dort rasch verbreiten. Das war der Fall bei HIV, dem Rinderwahn, der Schweinegrippe und Sars. Die zufälligen Eigenschaften des Virus entscheiden über die Wahrscheinlichkeit des Todes, die Leichtigkeit der Ansteckung und die Inkubationszeit. In dieser Hinsicht unterscheidet sich Sars-CoV-2 deutlich von ähnlichen Erregern: Gerade die Tatsache, dass viele Infizierte symptomfrei bleiben, macht es tückisch. Die von ihm ausgelöste Lungenentzün­dung lässt sich nicht mit Antibiotika bekämpfen und erfordert oft Intensivbehandlung.

Das Virus befällt Menschen in der ganzen Welt und entblößt die Schwächen der Gesundheitssysteme. Es zeigt aber auch, was Gesellschaften schützt und resilient macht. In den USA gefährdet es Schwarze viel mehr als Weiße. Reiche können sich besser schützen, aber zuletzt sind sie auch betroffen. Länder in denen es eine Lohnfortzahlung bei Krankheit, Kurzarbeitergeld, eine allgemeine Krankenversicherung gibt, können eine Pandemie leichter eingrenzen und die wirtschaftlichen Folgen abmildern. Ein Gesundheitssystem, das der Profitmaximierung unterliegt, an Krankenbetten gespart hat und Personal schlecht bezahlt, kommt schnell an seine Belastungsgrenzen. Auch die Abhängigkeit von internationalen Lieferketten und von Importen lebenswichtiger Güter macht ein Land verwundbarer.

Gesellschaftliche Ungleichheit, Profitmaximierung und Globalisierung sind keine zufälligen Entwicklungen sondern typisch für deregulierte Marktwirtschaften. Nach der Krise müssen wir intensiv diskutieren, wie wir soziale Elemente in der Marktwirtschaft stärken können, um allen Mitmenschen ein Leben in Würde zu sichern und unsere Gesellschaft krisenfester zu machen.

Die umfassendste Krise ist immer noch da: die Klimakrise! (WH)

Stunde der Regierung oder Stunde des Wahns?

Artikel der Grünen im Mitteilungsblatt vom 23.04.2020

Das Virus stellt auf eine ungewohnte Weise die Systemfrage: Welche Staaten können ihre Bevölkerung schützen? Chinesische Parteidiktatur oder Parlamentarismus? Die zerbröselnde Europäische Union oder der amerikanische Populist Trump?

Auf den ersten Blick ist es natürlich die Stunde der Exekutive. Egal ob zögerlich abwägend wie Merkel oder entschlossen vorpreschend wie Söder, die Regierungschefs erreichen traumhafte Umfragewerte. Diktatorische Systeme wie in China können erfolgreich durchregieren. Unter der Oberfläche aber brodelt die Angst und der Widerspruch. Auch bei uns diskutiert man über abweichende Meinungen von Medizinern wie Wodarg und Schiffmann, die in Youtube-Filmen die Situation verharmlosen, und die Anwältin Bahner aus Heidelberg, die zum Widerstand gegen den Lockdown aufrief. Auch bei gewöhnlich besonnenen Zeitgenossen ist nun von „Panikmache“ und „Systempresse“ die Rede, Verschwörungstheorien haben Konjunktur.

Dabei läuft es bei uns eigentlich gut. Die WissenschaftlerInnen sind gefragt, wissen auch nicht alles, aber lernen schnell und diskutieren vernünftig miteinander, die PolitikerInnen stellen Leben und Gesundheit vorne an, kümmern sich auch um Wirtschaft und Gesellschaft, versuchen ihre Entscheidungen gut abzuwägen. Die Opposition trägt mit oder kritisiert die Strategie. Die Gesellschaft diskutiert mit, alle eignen sich neues Wissen an und richten nach kurzer Irritation ihr Verhalten an der Situation aus.

In einer parlamentarischen Demokratie gehört das so. Die Verantwortung tragen gewählte VolksvertreterInnen, beraten von ausgebildeten Fachleuten. Die Bevölkerung gibt dieser Elite einen Vertrauensvorschuss und erduldet eine Einschränkung von Freiheitsrechten auf Zeit, wenn dies gut begründet wurde. Wenn Rechte unverhältnismäßig beschnitten werden, wird vor Gerichten - teils auch erfolgreich - geklagt.

Populisten versuchen aus Eigeninteresse einen Gegensatz zwischen Volk und Elite aufzubauen, obwohl sie wie Trump und Bolzonaro selbst Teil der Elite sind. Sie stellen sich selbst an die Spitze der aufgehetzten Menschen und wollen die Institutionen der Demokratie übernehmen und zerstören. In der Corona-Pandemie wirkt es allerdings absurd und destruktiv, wenn ein Präsident das Volk gegen die Gouverneure aufhetzt.

Misstrauen gegen Regierungen ist allerdings auch ein wichtiger Antrieb der Demokratie, denn oft ist es auch berechtigt. Dann schlägt die Stunde des Parlamentes und dann ist es wichtig, dort nicht nur treue Parteigänger sitzen zu haben, sondern verantwortungsbewusste Menschen aus allen Schichten des Volkes. (WH)

Grüne Politik in der Coronakrise. Wie funktioniert das?

Artikel der Grünen im Mitteilungsblatt vom 07.05.2020

Man liest jetzt öfter bedauernde oder auch hämische Kommentare, dass die GRÜNEN in der Coronakrise untergehen, ihre umweltpolitischen Ziele an Akzeptanz verlieren und sie in Umfragen verlieren.

Wenn in einer solchen Krise die Aufmerksamkeit der Bevölkerung sich auf die Arbeit der Regierung konzentriert und sich diese steigender Beliebtheit erfreut, solange sie ihr Krisenmanagement einigermaßen gut macht, ist das normal. Die GRÜNEN stehen mit in der Verantwortung. Sie haben die Maßnahmen im Bundestag und auf Länderebene mitgetragen und damit zu einem schnellen und geschlossenen Handeln beigetragen. In der Debatte um Lockerungen vertreten wir eine zielgenaue Strategie mit Schutzmaßnahmen, Tests und Nachprüfen von Infektionsketten. Wo geöffnet wird, muss das Gemeinwohl entscheiden und nicht die stärkste Lobby. Die Betreuung der Kinder hat da bisher zu wenig Beachtung gefunden. Das hat dazu geführt, dass der Lockdown vor allem zu Lasten von Frauen und sozial Schwachen ging.

Mit dem digital durchgeführten „Länderrat“ am vergangenen Samstag haben die GRÜNEN gezeigt, dass sie politisch und auch organisatorisch in der Lage sind, unter diesen schwierigen Bedingungen effektive Diskussionen zu führen und konstruktiv in die Zukunft zu denken. Sie haben einmütig einen Leitantrag verabschiedet, der die Situation klar benennt: „Noch befinden wir uns mitten in der Pandemie. Es gilt – mit aller Kraft – die Zahl der Opfer so gering wie möglich zu halten und zugleich einen sozialen und ökonomischen Zusammenbruch zu verhindern. Dafür müssen wir weiter große Vorsicht walten lassen und lernen, für eine längere Zeit mit dem Virus zu leben und es zugleich immer besser und zielgenauer zu bekämpfen.“

Darüber hinaus beschreibt der Leitantrag Grundzüge einer Zukunftsstrategie: 1. Die Wege aus der Krise müssen konsequent europäisch gedacht werden, nicht nationalistisch. 2. Internationale Institutionen müssen gestärkt werden. 3. Wir müssen mehr Wert legen auf die Robustheit von Wirtschaft, Gesundheits-, Bildungs- und Sozialsystemen 4. Wir müssen unseren die Gesellschaft tragenden Berufsgruppen nicht nur mehr Anerkennung, sondern auch soziale Sicherheit und bessere Löhne geben. 5. Die demokratischen Rechte dürfen nicht auf Dauer eingeschränkt werden, sondern nur verhältnismäßig und so lange wie nötig. 6. Mit dem Wiederanfahren der Wirtschaft, müssen wir zugleich die Weichen stellen für eine Kreislaufwirtschaft mit nachhaltigem Gebrauch von Ressourcen und für die Bewältigung der Klimakrise. Der europäische Green Deal darf nicht aufgeweicht werden, sondern muss zum „Pakt für ökologisch-soziale Transformation der Wirtschaft werden“.

Ob und wie wir das schaffen, das entscheidet das gemeinsame Handeln unserer Gesellschaft. (WH)

Kein „Weiter so“ - innovative Wirtschaftsformen fördern

Artikel der Grünen im Mitteilungsblatt vom 14.05.2020

Am Anfang der Krise wuchs die Hoffnung, dass die Welt sich ändern könnte. Durch den Pandemie-Lock-Down hielt plötzlich nahezu die ganze Welt inne. Viele Menschen hatten plötzlich mehr Zeit als zuvor, über die momentane Entwicklung bei u.a. Wirtschaft, Umwelt, Gesundheits- und Sozialsystem neu nachzudenken. Wichtige und unwichtige Dinge fürs Leben wurden auf einmal anders gewertet.

Aber kaum ebbt die Corona-Krise etwas ab, wollen Großkonzerne der Autoindustrie und Lufthansa Milliarden. Sie pochen auf ein munteres „Weiter so“. Aber sollte, wer - wie die Autoindustrie - hohe Dividenden-Ausschüttungen und Boni-Zahlungen plant oder - wie die Lufthansa - lieber in Steueroasen flüchtet statt in Deutschland Steuern zu zahlen, nicht kompromissbereiter in seinen Forderungen sein? Weit gefehlt.

Sie wollen an finanzielle Hilfen keine Bedingungen geknüpft sehen. Doch angesichts einer für de ganze Menschheit bedrohliche Klimakrise sollten die begrenzten Geldmittel des Staates nur in tatsächlich nachhaltige und zukunftsgerichtete Konzepte fließen. CO2-Einsparung, um das Klimaziel von 1,5 Grad Erderwärmung einhalten zu können, darf nicht wegen der Corona-Pandemie verschoben werden.

Die Klimakrise macht keine Pause, wie man auch an dem völlig regenfreien April sehen kann. Im Schatten der Corona-Krise werden unheilvolle Entscheidungen gegen den Ausbau der regenerativen Energien getroffen. Für die Windkraft hat Wirtschaftsminister Altmeier die Abstandsregel von 1000 m erfunden, wobei schon eine Ansammlung von 5 Häuser als Wohnbebauung gilt. Damit wird in unserem dicht besiedelten Deutschland der Bau neuer Windkraftanlagen praktisch unmöglich. Denn in weniger bebauten Gebieten verhindern Windkraft-Gegner ebenfalls jede mögliche Lösung, sprechen von Verspargelung der Landschaft.

Die Solaranlagen der ersten Generation fallen ab dem 1.1.21 aus der Förderung. Danach erhalten die Besitzer dieser Photovoltaik-Anlagen keine Vergütung nach dem EEG mehr. Es werden dann hohe Investitionen nötig und es steigen die Betriebskosten, wenn dann entweder der Strom selbst genutzt oder direkt vermarktet werden soll. Bei Eigennutzung muss zudem 40 % EEG-Umlage abgeführt werden. So besteht die Gefahr, dass voll funktionsfähige Solaranlagen frühzeitig abgebaut werden. Das zu einer Zeit, wo der Anteil der regenerativen Energien steigen soll und zudem gutes Potential zur Schaffung von Arbeitsplätzen bietet.
Es darf nicht sein, dass Technik-Dinosaurier von Großunternehmen finanziell großzügig gefördert werden und andererseits innovative, zukunftsfähige und nachhaltige Projekte ins Aus befördert werden. (AS)

Unser täglich Fleisch

Artikel der Grünen im Mitteilungsblatt vom 20.05.2020

In den Medien wurde in der vergangenen Woche viel über die Corona-Fälle in den Schlachthöfen berichtet. In mehreren Fleischbetrieben sind so viele Mitarbeiter Corona-positiv, dass ganze Landkreise ein Problem haben. In einem Betrieb wurde jeder fünfte Mitarbeiter positiv getestet.

Die Debatten über die Zustände in deutschen Schlachthöfen gibt es seit Jahren. Neben der Frage, wie es um die Hygiene steht und wie dort mit den Tieren umgegangen wird, stehen vor allem die Arbeitsbedingungen der Mitarbeiter in der Kritik. Durch sogenannte Werkverträge mit einem oder mehreren Subunternehmern, können Arbeitszeitregelungen und Mindestlohn leicht umgangen werden. Die Arbeiter werden nach ihren langen Schichten schlechten Arbeitsbedingungen in Sammelunterkünften untergebracht. Ein Mindestabstand kann hier nicht eingehalten werden. Die Süddeutsche Zeitung titelt: "Ausbeutung und Elend sind der wirkliche Preis für billiges Supermarktfleisch". In der Corona-Krise betrifft das Problem nun endgültig die Beschäftigten in den Betrieben und die Tiere sondern alle die Menschen. Es fällt schwer, weiterhin die Augen zu verschließen vor extremen Folgen unserer Billigfleisch-Industrie: extreme Ausbeutung und extremes Tierleid. Der Kölner Weihbischof Ansgar Puff mahnt: „In Wirklichkeit kommt nur die Wahrheit raus, vor der wir immer die Augen zu machen: Das Grillfest ist nur deshalb so billig, weil Osteuropäer wie Sklaven in den Schlachthöfen arbeiteten. Billiges Grillfleisch ist uns einfach zu lieb."

Wir Deutschen geben sehr lediglich 10% unserer Konsumausgaben für Lebensmittel aus. Kaum einer unserer europäischen Nachbarn gibt weniger aus. Sollten wir uns an dieser Stelle nicht die Frage nach einen Wandel unserer Werte stellen? (BJ)

Lufthansa - Staat rettet (fast) bedingungslos Pleite-Unternehmen

Artikel der Grünen im Mitteilungsblatt vom 28.05.2020

Die Lufthansa wird mit 9 Milliarden Euro Steuergeldern vor der coronabedingten Insolvenz gerettet. Der Staat wird erstmals seit 23 Jahren wieder Anteilseigner werden. Ihr Stimmrecht will die Regierung nur in Ausnahmefällen nutzen. Die Manager des Unternehmens wollten staatlichen Einfluss in ihre Geschäfte möglichst vermeiden. CDU-Bundeswirtschaftsminister Altmaier lehnt es mit fadenscheinigen Argumenten ab, der Lufthansa - ähnlich wie bei Air France in Frankreich - vorzuschreiben, zugunsten der umweltfreundlicheren Bahn auf Inlandsflüge zu verzichten. Es gibt nur die Bedingung, keine Dividenden und Boni zu zahlen. Dass die SPD dabei mitmacht, ist erstaunlich. Die Tochtergesellschaft German Wings wurde zuvor schnell noch entsorgt, wobei bereits viele Arbeitsplätze verloren gingen.

Interessanterweise war ausgerechnet im Manager-Magazin vom 29.04.20 zu lesen, dass in Dänemark oder Polen bei dem Ruf nach öffentlichen Geldern noch ein anderes Kriterium zum Tragen kommt: Die beiden Nachbarländer haben verkündet, Steuerflucht zum Ausschlusskriterium für Staatshilfe zu machen. Wer die Gesellschaft um Hilfe bitte, dürfe sie nicht an anderer Stelle prellen, so das einfache Prinzip.Z.B. tauchte die Lufthansa in den "Malta Files" über Konzernbeteiligungen in der EU-Steueroase auf. Laut jüngstem Geschäftsbericht unterhält der Konzern dort 16 Gesellschaften. Seit EU-weit für Großunternehmen das Country-by-Country-Reporting verpflichtend ist, sind von in allen EU-Ländern Umsatz, Gewinn, Beschäftigung und andere Größen auszuweisen, um scheinbare von echten wirtschaftliche Aktivität unterscheiden zu können. Diese Berichte dürfen aber nicht veröffentlicht werden - eine entsprechende Initiative scheiterte an der deutschen Enthaltung. Wegen des Steuergeheimnisses können die Finanzämter ihr Wissen derzeit nicht einmal mit anderen staatlichen Stellen teilen, etwa denen, die Anträge auf Corona-Hilfen bearbeiten.

"Das sieht nach einem sehr schlechten Deal für die Steuerzahler aus", kritisierten die Grünen. Der Bund gebe 9 Milliarden Euro und erhalte dafür nur eine Beteiligung von 20 Prozent, obwohl das Unternehmen an der Börse lediglich 4 Milliarden Euro wert ist. Die Bundesregierung sozialisiere die Verluste eines privaten Großkonzerns und lasse sich bei zentralen Entscheidungen im Unternehmen kaltstellen. Es fehlten auch ökologische Bedingungen an die Lufthansa im Rahmen des Hilfspakets, kritisieren die Grünen. "Die französische Regierung hat bei Air France mit klaren ökologischen Vorgaben gezeigt, was möglich und notwendig ist", so die Grünen-Bundestagsfraktion. (AS)

Konjunkturpaket - Verpufft der Wumms?

Artikel der Grünen im Mitteilungsblatt vom 10.06.2020

Das Konjunkturpaket der Bundesregierung hat alle überrascht. Es war klar, dass es nicht alle Wünsche befriedigen konnte. Die Erwartungen waren sehr unterschiedlich, aber auf alle Fälle hoch.

Nach dem weitgehenden Stillstand der Wirtschaft sollte verhindert werden, dass ein negativer Kreislauf von fehlender Kaufkraft bei den Konsumenten, fehlendem Kapital für Investitionen, Sparsamkeit der Öffentlichen Hand und steigender Arbeitslosigkeit in eine anhaltende, tiefe Rezession führt.

Kleinverdiener und besonders Familien hofften auf eine spürbare Geldspritze, die ihre Einkommensverluste und Belastungen durch den Lockdown wenigstens ein wenig ausgleicht. Selbstständige warteten dringend auf eine Wiederbelebung der Märkte. Die Autoindustrie verlangte nach Kaufprämien.

Klimaschützer wie die Fridays-for-Future-Bewegung, aber auch zukunftsorientierte Branchen forderten, dass nicht die alte, auf fossiler Energie beruhende Wirtschaft aufgepäppelt, sondern in die neuen Strukturen, in erneuerbare Energie, Digitalisierung und umweltschonenden Konsum und Verkehr investiert wird. Es war klar, dass eine so riesige Summe von Staatsgeldern nicht in ein paar Jahren wieder mobilisiert werden kann, dass sie also zugleich ein Beitrag zum Klimaschutz sein muss.

Die Autoindustrie wurde enttäuscht – mit Recht, denn eine neue Abwrackprämie für Verbrenner hätte nur eine nicht mehr zeitgemäße Struktur stabilisiert. Andere sinnvollere Forderungen aus dem Forderungskatalog der Autoländer wie eine Ausrichtung der KFZ-Steuer am CO2-Ausstoß und Investitionen in die Ladeinfrastruktur für Elektroautos wurden berücksichtigt, und was wichtig ist: eine gezielte Förderung von Forschung und Entwicklung in Bereichen wie Batterien und Wasserstoff sowie Investitionen in die Bahn.

Enttäuscht wurden leider Geringverdiener und Familien: Der Kinderbonus und die Senkung der Mehrwertsteuer bewirken hier nicht genug. 3 Prozent Einsparung sind bei alltäglichen Einkaufen kaum spürbar, das nutzt beim Kauf von Autos oder wertvollen Elektrogeräten, also Leuten, die es sich leisten können. Das Geld wäre besser in eine Erhöhung der Hartz-4-Sätze oder ein Corona-Elterngeld angelegt.

Die Kommunen bekommen die Hälfte der Verluste an Gewerbesteuern ersetzt und der Bund übernimmt zusätzlich 25 % der Miet- und Heizkosten für Hartz-4-Empfänger. Das ist ein willkommener Zuschuss, aber es wird nicht reichen, besonders nicht den hoch verschuldeten Kommunen.

Das Paket enthält einige Ideen, die helfen können, aber gerade die teure Mehrwertsteuersenkung dürfte sinnlos verpuffen. Die 20 Mio. hätte man zielgerichteter für sozialen Ausgleich und Klimaschutz einsetzen können. Bleibt die Frage, wer langfristig die Schulden bezahlen muss und was aus den Versprechungen von besserer Bezahlung für „systemrelevante Berufe“ wird. (WH)

Finanznot wegen der Corona-Maßnahmen: Was tut das Land für die Gemeinden?

Artikel der Grünen im Mitteilungsblatt vom 18.06.2020

Die Corona-Pandemie und ihre Folgen wirken sich deutlich auf die kommunalen Einnahmen aus. Insbesondere Gewerbesteuer bricht den Gemeinden gerade weg. Um ihnen die dringend benötigte Liquidität zu geben, wird das Land im ersten Halbjahr 2020 mit den Juni-Abschlagszahlungen auf den kommunalen Finanzausgleich und die kommunale Investitionspauschale weitere 517 Millionen Euro mehr überweisen als den Gemeinden nach der aktuellen Steuerschätzung zustehen würde. Das berichtet der Landtagsabgeordnete Uli Sckerl. Die Regierung habe dies am Dienstag beschlossen. Sckerl: „ Das Land überweist den Kommunen das Geld, das ohne die Einbrüche durch die Corona-Krise vorgesehen war. Die drastischen Verminderungen, die sich aus der Mai-Steuerschätzung ergeben, werden nicht abgezogen. Die Gemeinden werden so gestellt, als gebe es keine Mai-Steuerschätzung“.

Schon in der Anfangsphase der Corona-Pandemie hatte das Land als rasche und unbürokratische Soforthilfe den Kommunen 200 Millionen Euro ausgezahlt, um sich an den finanziellen Belastungen wegen des Ausfalls von Gebühren für die Kinderbetreuung zu beteiligen. Das Land gleicht zudem Einnahmeausfälle im öffentlichen Personennahverkehr sowie Elternanteile für nicht genutzte Schülertickets aus und verdoppelt die Bundesmittel zur Ausstattung von Schulen mit digitalen Endgeräten. Allein diese Unterstützungsleistungen belaufen sich auf mehr als 580 Millionen Euro.

Nach der Mai-Steuerschätzung müssten die Städte und Gemeinden mit einem Einbruch der Steuereinnahmen um rund 3,6 Milliarden Euro rechnen. Vor allem die Einnahmen aus der Gewerbesteuer fallen demnach deutlich niedriger aus als bislang angenommen - der Prognose zufolge um 1,88 Milliarden Euro. Die Regierungskoalition im Bund hat angekündigt, wegfallende Gewerbesteuereinnahmen zur Hälfte zu kompensieren. Die Länder sollen die andere Hälfte übernehmen. Bei der Abschlagszahlung vom 10.Juni hat unsere Gemeinde 578.000 Euro mehr vom Land erhalten, als eigentlich zu erwarten war (insgesamt 4,6 Mio. Euro).

Das heißt natürlich keineswegs, dass die Gemeinde finanziell ungeschoren durch die Krise kommt. Sparsamkeit in der Haushaltsführung ist weiterhin notwendig und nicht alle Wünsche können erfüllt werden. Aber die geplanten Investitionen in Schule und Kindergärten können so wohl durchgeführt werden, ohne die Verschuldung allzu sehr in die Höhe zu treiben. Das ist eine gute Nachricht. (US/WH)

Wissenschaft und Improvisation: Wie Deutschland die Krise bisher bewältigt

Artikel der Grünen im Mitteilungsblatt vom 10.09.2020

Seit etwa einem halben Jahr beschäftigt uns nun die Covid19-Pandemie und hat unsere Gesellschaft nach wie vor fest im Griff. Nach entschlossenem Lockdown und „Fahren auf Sicht“ wird es allmählich Zeit eine erste Bilanz zu ziehen. Es bleibt kritisch anzumerken, dass alle staatlichen Stellen unvorbereitet waren, obwohl es vorher Warnungen gab, dass eine solche Pandemie auf uns zukommen wird. Keiner wusste, welche Eigenschaften ein Virus haben würde, aber man wusste, dass man Schutzkleidung, Masken, Medikamente und Intensivbetten brauchen würde und dass unser Gesundheitssystem schon im Normalbetrieb unter Personalmangel leidet.

Unser Land ist dennoch bisher viel besser durch die Krise gekommen, als viele andere. Das ist einerseits dem Glück geschuldet, dass wir nicht als erste betroffen waren und durch die Bilder aus Italien aufgeweckt wurden, aber auch dem entschlossenen Handeln unserer Staatsorgane und der aktiven Solidarität der Bürgerinnen und Bürger, die in ihrer großen Mehrheit Rücksichtnahme und Gemeinsinn zeigten. So hatten wir deutlich weniger Infektionen und Todesfälle als viele andere Länder und mussten selbst im stärksten Lockdown nicht so strenge Maßnahmen ertragen, wie z.B. Italien, Spanien und Frankreich. Angesichts der lückenhaften wissenschaftlichen Kenntnisse über das neuartige Virus war es unvermeidlich, dass manche Maßnahmen nicht angemessen waren und dass das Hin und Her von Lockerungen und neuen Verschärfungen, erst Ablehnung der Masken, dann Maskenpflicht, schwankende Test- und Quarantäneregeln die Menschen verwirrte. Die widersprüchliche Folge unseres glücklichen Krisenmanagements ist nun, dass die Maßnahmen so im Nachhinein manchen als übertrieben erscheinen. Es ist paradox, dass es bei uns Demonstrationen gegen die Schutzmasken gibt, während in Frankreich fast klaglos eine Maskenpflicht im gesamten öffentlichen Leben akzeptiert wird.

Mittlerweile ist aber Planlosigkeit nicht mehr entschuldbar. In der Zusammenarbeit der Länder mit der Bundesregierung ist ein Profilierungswettstreit entstanden, der die Glaubwürdigkeit der Maßnahmen in Frage stellt. Kostenlose Tests für Urlaubsrückkehrer wurden angeordnet, ohne die nötige Infrastruktur bereit zu stellen. Die Schulen werden von den zuständigen Ministerien mit zu spät erstellten und wenig durchdachten Hygieneplänen konfrontiert und sollen nun die Probleme bewältigen, die durch die Rückkehrer aus Risikoländern verschärft werden. Auch unsere Kultusministerin Eisenmann wirkt bisher überfordert. (WH)

Globaler Klimastreik - Friday for Future - am 25.09.20

Artikel der Grünen im Mitteilungsblatt vom 17.09.2020

Die Klimakrise ist eine reale Bedrohung für die menschliche Zivilisation – die Bewältigung der Klimakrise ist die Hauptaufgabe des 21. Jahrhunderts. Dieser dritte trockene Sommer sowie Extremwetter-Ereignisse in Deutschland und weltweit haben gezeigt, dass ganz dringend Handlungsbedarf in Politik und Wirtschaft besteht. Ein heißer und trockener Sommer wie 2018 ist für sich allein betrachtet zwar ungewöhnlich, heiße trockene Sommer gab es aber immer wieder. Dass aber in den vergangenen Jahrzehnten ein Rekordjahr nach dem anderen weltweit in Bezug auf die Temperaturen zu verzeichnen ist, zeigt eindeutig, dass sich die Erde erwärmt. 97% aller Fachleute sind überzeugt, dass der Klimawandel menschengemacht ist. Es sind Lobbygruppen der fossilen Industrie, die seit Jahrzehnten bewusst Zweifel an diesem wissenschaftlichen Konsens säen. Die bisher weltweit angekündigten Klimaschutzmaßnahmen reichen bei weitem nicht aus, die Einhaltung der Erderwärmung entsprechend des Pariser Klimaabkommens von maximal 1,5 bis 2 Grad Erwärmung zu erreichen. Im Gegenteil, die Brände in der Sibirischen Tundra und das Abschmelzen des Polareises zeigen, dass sich die gefährliche Entwicklung beschleunigt.

Wir fordern eine Politik, die dieser Aufgabe gerecht wird. Es werden immer noch zu wenig Maßnahmen zur Rettung unseres Klimas unternommen, auch in Deutschland. Die Wirtschaft braucht klare Vorgaben, welche Maßnahmen sie ergreifen muss, um ihren Anteil an der Reduzierung der CO2 beitragen zu können, um das Klima zu retten.

Ein Jahr nach dem bisher größten Streiktag initiiert von Fridays-for-Future ist es wieder so weit: Am 25.09. geht es wieder auf die Straßen, da zeigt die Bewegung, dass sie noch da und lauter als je zuvor ist. Denn wenn die Corona-Krise eines gezeigt hat, dann: Eine Krise müssen wir auch als Krise behandeln. Wir haben gesehen: Die Politik kann handeln, wenn es darauf ankommt. Jetzt fordern wir: Tut das auch bei der Klimakatastrophe! In Heidelberg ist der Treffpunkt um 17 Uhr auf den Neckarwiesen, in Mannheim beginnt die Rad-Demo ebenfalls um 17 Uhr am Schloss.

Es ist an der Zeit, dass die gesamte Gesellschaft aufwacht und den Kampf der Jugend für Klimagerechtigkeit unterstützt. (AS)

Uli Sckerl wieder zum Landtagskandidaten nominiert

Artikel der Grünen im Mitteilungsblatt vom 25.09.2020

In der Schriesheimer Mehrzweckhalle trafen sich die Grünen des Kreises Neckar-Bergstraße am 17.September erstmals wieder live seit Beginn der Coronakrise, um die Kandidaten für die Landtagswahl im März 2021 zu wählen. In seiner Bewerbungsrede hielt sich Sckerl nicht lange mit der Aufzählung der bisherigen grünen Erfolge auf, sondern betonte, dass die GRÜNEN in der Regierungsarbeit noch einige „Pfeile im Köcher“ hätten. Die Menschen wollten nichts über die Leistungen der Vergangenheit hören, sondern sie wollten „wissen, was wir noch vorhaben“. Bisher hätten die GRÜNEN in guten Jahren die Regierung angeführt und mit solider Arbeit dazu beigetragen, dass das Land gut dasteht. Uli Sckerl hat als Parlamentarischer Geschäftsführer entscheidend dazu beigetragen, dass seine Fraktion geschlossen aufgetreten ist. Als innenpolitischer Sprecher hat er grüne Akzente in einem Thema gesetzt, in dem sonst die CDU die Kompetenz beansprucht. Gerade in der Auseinandersetzung um den Artenschutz in der Landwirtschaft (Volksbegehren „Pro Biene“) hat er es geschafft, eine Polarisierung und ein Auseinanderfallen der Gesellschaft zu verhindern und durch „Runde Tische“ Naturschützer und Landwirte zu sachlicher Zusammenarbeit geführt.

Nun, so Sckerl, haben sich die Vorzeichen verändert, eine Zeit der Krisen stehe uns bevor. „Wir können auch Krise!“ erklärte der Kandidat und versprach, dass sich die GRÜNEN für die Erhaltung der Arbeitsplätze in Baden-Württemberg einsetzen, die nun durch die Coronakrise, aber auch durch den Strukturwandel bedroht sind. Die gewaltigen Ausgaben für die Rettung der Wirtschaft sollen so eingesetzt werden, dass sie zugleich der Bekämpfung des Klimawandels dienen. Stolz verwies Uli Sckerl auch darauf, dass Baden-Württemberg sehr viel für die Kommunen getan hat, um die Einbußen durch die Krise auszugleichen.

Dass er als „älterer Herr“ nochmals kandidiert begründete Sckerl damit, dass er als einer von wenigen in der Fraktion noch die Zeit als Opposition miterlebt hat und seine Erfahrung noch einmal einbringen will. Außerdem meinte er, solange seine Ideen noch frischer seien als die der SPD- und CDU-Mitbewerber, sei ihm nicht bange. Als Ersatzkandidatin und Nachrückerin für Sckerl wurde mit ebenso hoher Stimmenzahl Fadime Tuncer gewählt, die im Kreis den Wahlkampf managen wird, wie schon erfolgreich bei der letzten Wahl. (WH)

Altmaier: Klimapolitik oder Luftnummer?

Artikel der Grünen im Mitteilungsblatt vom 08.10.2020

Bundeswirtschaftsminister Altmaier hat sich bisher immer als großer Bremser hinsichtlich Klimaschutz gezeigt. Z.B. mit seiner Werbung für Kaufprämien für große Verbrenner-Autos, seiner Festlegung auf sehr lange Laufzeit für Braunkohlewerke, die den Kohle-Kompromiss torpedieren.

Jetzt plädiert er für mehr Klimaschutz, spricht sich für den Ausbau der regenerativen Energien aus - eigentlich dringend nötig, denn Deutschland hinkt ihren eigenen Zielen sehr hinterher. Die Polit-Sendung „Monitor“ im ARD hat sich damit befasst und Worte Altmaiers an seinen Taten, d.h. an der Novelle des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes, gemessen. Bis 2030 sollen 65 % des Stroms aus erneuerbaren Energien stammen.

Viel kritisiert wurde schon die Abstandsregel für neue Windkraft-Anlagen. Diese hat jeglichen Neubau in vielen deutschen Regionen nahezu unmöglich gemacht, da bereits eine Ansammlung von 4 Häusern als Siedlung gilt. Was in der Novelle Altmaiers insbesondere fehlt, sind finanzielle Hilfen für die Sanierung und Reparatur bereits bestehender Windkraft-Anlagen nach einer Laufzeit von ca. 20 Jahren. Für sie läuft die Förderung nach dem EEG aus. Sie können rechtlich und auch wirtschaftlich weiter betrieben werden. Jedoch nur, wenn keine Sanierungskosten hinzukommen. Wenn die alten Windkraft-Anlagen jedoch stillgelegt werden müssen, dann könnten an selbiger Stelle oft keine neue Windkraft-Anlage errichtet werden: wegen der neuen Abstandsregeln.Dabei wird in den nächsten Jahren die Anzahl der zu sanierenden Windkraft-Anlagen deutlich steigen. Viele müssten durch neue Anlagen ersetzt werden. Aber in Altmaiers Novelle sucht man bei Berechnungen der Windkraft-Leistung bis 2030 vergebens die Einrechnung des Rückbaus von Alt-Anlagen.

Auch der Solarenergie werden weiterhin Hindernisse in den Weg gelegt: Weiter wird der Umfang des Zubaus durch Ausschreibungspflicht gedeckelt, Eigenverbrauch wird blockiert oder verteuert.

Mit schönen Worten eines wichtigen Entscheidungsträgers wird unser Klima nicht zu retten sein, wenn sich diese bei seinen Entscheidungen als der reinste Hohn erweisen. Seit die CDU/CSU an der Regierung ist, wird von ihr von Klimaschutz geredet, aber sie verhindert einen Umbau in eine nachhaltige, zukunftsgerichtete Umwelt- und Wirtschaftspolitik. Für das Überleben unseres blauen Planeten wäre nötig, dass Deutschland als sehr starke Wirtschaftsmacht hierbei eine Vorreiter-Funktion einnimmt. (AS)

Systemwechsel bei der Gemeinsamen Agrarpolitik? Etikettenschwindel!

Artikel der Grünen vom 29.10.2020

Zwischen dem Europäischen Parlament, dem Europäischen Rat der Landwirtschaftsminister und der Kommission wird derzeit die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) für die nächsten sieben Jahre ausgehandelt. Im Angesicht von Artensterben und Klimakrise haben wir daran große Erwartungen geknüpft und gehofft, dass auch in diesem Bereich ein „Green Deal“ die Weichen für eine bessere Zukunft stellt. Was uns nun Julia Klöckner als „Systemwechsel“ in der Landwirtschaft verkaufen will, bezeichnet Sven Giegold als „Etikettenschwindel“.

Schon jetzt lässt sich absehen, dass es nur ein Reförmchen geben wird, das kaum etwas verbessert, ja sogar Verschlechterungen enthält. Der von Umweltschützern dringend geforderte Schutz von Naturschutzgebieten wie Moorlandschaften und Flussufern wird verwässert und vertagt, nur auf 5 % der landwirtschaftlichen Fläche soll verpflichtend die Biodiversität gestärkt werden. (Das ist bisher schon auf 9 % der EU-Flächen der Fall). Bisher war das „Greening“ für Betriebe mit über 15 ha verpflichtend: mindestens 5% der Fläche ökologische Vorrangflächen mussten bereitgestellt werden. Diese und andere Verpflichtungen sollen nun freiwillig werden und mit Geldern von „Ökologisierungsprämien“ gefördert werden. Diese Prämien sollen nach dem Wunsch der Landwirtschaftsminister 20 %, nach dem EU-Parlament 30 % der gesamten Förderung ausmachen, 60 % sind weiterhin nur nach Fläche auszuzahlen. Damit kommt der Löwenanteil aus dem größten Posten des EU-Haushaltes landwirtschaftlichen Großbetrieben zugute und bleibt ohne ökologische Lenkungswirkung. Die größten 20 % der Betriebe erhalten bisher 80 % der Zahlungen. Die Chance zu einer systematischen Förderung ökologischer Landwirtschaft wird von der EU nicht genutzt, der Naturschutz bleibt weitgehend freiwilligem Idealismus überlassen.

Wir wissen nicht, was unsere örtlichen Landwirte davon halten, die nach eigenem Bekunden einer umweltfreundlichen Landwirtschaft aufgeschlossen gegenüberstehen. Die Folgen werden uns alle und vor allem die Bauern bald schwer belasten. Schon jetzt erleben wir Trockenheit und extreme Wetterereignisse, die wirtschaftlichen Folgen des Insektensterbens lassen sich noch kaum schätzen. Und unter dem Verlust der Artenvielfalt und dem Veröden von Naturlandschaften werden wir alle leiden. (WH)

Mehr Wohnqualität ohne Flächenfraß

Artikel der Grünen im Mitteilungsblatt vom 19.11.2020

Obwohl die Bevölkerung der Bundesrepublik nur noch minimal wächst (durch Zuwanderung), frisst sich das Grau der Städte und Straßen immer weiter in die Landschaft hinein, zerstört Lebensräume und verbraucht fruchtbaren Ackerboden. Wie passt das zusammen? Soll das so weiter gehen? Oder müssen wir wieder kräftig bauen, um nicht alle obdachlos zu werden?

In den letzten fünfzig Jahren ist die durchschnittliche Wohnfläche pro Person von 18 auf 47 Quadratmeter gestiegen, ein wahnsinniger Luxus, der aber sicher nicht von allen so gewollt ist. Während manche Menschen immer noch mit großer Familie auf engstem Raum leben, sind anderswo große Wohnungen oder ganze Häuser nur noch von ein bis zwei Personen bewohnt. Alte Menschen wollen in ihrer Umgebung wohnen bleiben. Junge Familien streben nach einem Einfamilienhaus im Grünen, nehmen dabei immer weitere Entfernungen zum Arbeitsplatz in Kauf und brauchen dann noch mehr Autos und Straßen. Die Nachfrage nach Wohnraum treibt die Preise in die Höhe und lockt Spekulanten an.

Was tun? Kommunen sollten sparsam und umsichtig mit der knappen Ressource Boden umgehen. Sie sollten eigene Flächen oder Wohnungen nicht verkaufen, auch wenn die Versuchung angesichts leerer Kassen groß ist, sondern nur in Erbpacht vergeben. Leerstehende Gebäude sollten sie nach Möglichkeit erwerben und Sanierungen ganzer Quartiere städtebaulich steuern. Wir brauchen keine neuen Baugebiete mit weiteren Einfamilienhaus-Siedlungen, sondern Wohnungen, die durch Tausch innerhalb der Wohnanlage oder flexible Raumeinteilung an sich ändernde Familienverhältnisse angepasst werden können, attraktive Angebote für Senioren, ihr leerstehendes Haus gegen eine kleinere altersgerechte Wohnung zu tauschen, natürlich mit angemessenem Wertausgleich. Dazu müssen auch neue Wohnungen geschaffen werden, aber möglichst nicht auf dem Acker, sondern durch Umwidmung von Kasernen und Gewerbeflächen, durch Sanierung maroder Quartiere und – wo sinnvoll – durch Verdichtung in den Ortskernen. Dabei kann die Lebensqualität auch bei geringerem Flächenbedarf steigen: wenn die Wohnung zum Bedarf passt und Einkaufsmöglichkeiten und kulturelle Angebote gut zu erreichen sind.(WH)

Verkehrswende in BaWü - besser als ihr Ruf

Artikel der Grünen im Mitteilungsblatt vom 10.12.2020

Die Bevölkerung Baden-Württembergs sieht die Verkehrspolitik der Landesregierung kritisch. Und für die klare Mehrheit ist der Verzicht auf ein eigenes Auto keine ernsthafte Alternative. Das sind zwei zentrale Ergebnisse des zweiten BaWü-Checks, den das Institut für Demoskopie Allensbach im Auftrag der baden-württembergischen Zeitungsverlage, darunter auch die Heilbronner Stimme, durchgeführt hat. Hier haken Kritiker ein: Hat die Verkehrspolitik in Baden-Württemberg versagt?

Keineswegs! Seit 2011 ist Baden-Württemberg auf einem guten Weg, zu einem Pionierland für nachhaltige Mobilität zu werden. Zu Recht sind wir im Bundesländerindex Mobilität von Verkehrs- und Umweltverbänden auch in diesem Jahr zum wiederholten Male auf Platz 1 gelandet. Oberstes Ziel ist es für uns Grüne, Mobilität und Klimaschutz in Einklang zu bringen. Ein Meilenstein auf dem Weg zu einem emissionsarmen, kundenfreundlichen ÖPNV ist dabei - neben der VVS-Tarifreform - das Baden-Württemberg-Ticket: Mit einem Ticket, das um rund 25 Prozent günstiger ist, reisen Fahrgäste inzwischen durchs ganze Land. Die Fahrrad- Infrastruktur kommt voran, unter anderem mit sicheren Radschnellwegen. Und keine andere Landesregierung hat bisher mehr in den Straßenbau investiert. Der Schwerpunkt liegt dabei ganz klar auf dem Erhalt und der dringend notwendigen Sanierung von Straßen.

Warum ist die Verkehrswende so schwierig? Langfristig gewachsene Gewohnheiten bestimmen nicht nur das Verhalten der meisten Menschen, sondern sie bremsen auch Veränderungen: Wenn Buslinien nur zu einem geringen Teil ausgelastet sind, lohnt sich eine engere Taktung nicht. Wenn Verbindungen lückenhaft sind, brauchen die Menschen weiterhin ihr Auto, so beißt sich die Katze in den Schwanz. Es braucht langfristige Überzeugungsarbeit und immer mehr attraktive Angebote, um eine Änderung der Gewohnheiten zu erreichen. Diese zu finanzieren ist nicht nur die schwere Aufgabe des Landes, sondern auch der Kommunen.

Der grüne Landtagsabgeordnete Uli Sckerl betont: „Die Umfrage bestätigt uns in der Notwendigkeit, über Stuttgart 21 hinaus zu denken, die schlimmsten Engpässe zu beseitigen und den Bahnknoten Stuttgart leistungsfähig für die Zukunft zu machen. Sonst werden wir in 2030 nicht doppelt so viele Fahrgäste haben können. Die Mobilität der Zukunft wird eine andere sein als heute, denn Megatrends wie Elektrifizierung, Automatisierung und Digitalisierung werden auch an Baden-Württemberg nicht vorbeigehen. Die Mobilitätswende ist eine Daueraufgabe – und das Bohren dicker Bretter. Wir wollen es den Menschen leichtmachen, das Auto stehen zu lassen und auf Bus und Bahn umzusteigen. Deshalb arbeiten wir konsequent weiter an einem gut ausgebauten, sicheren, zuverlässigen und günstigen Öffentlichen Nahverkehr sowie an einem ganztägigen Stundentakt im ganzen Land als verlässliches Mindestangebot.“ (US/WH)

Ein Schicksalsjahr geht zu Ende

Artikel der Grünen im Mitteilungsblatt vom 17.12.2020

Das Jahr 2020 hat uns Erlebnisse und Erfahrungen beschert, mit denen wir nie im Leben gerechnet hätten. Viele Menschen hat dieses Jahr erschreckt, gelähmt, aus dem Gleis geworfen, verwirrt, gegen andere aufgebracht. Nun geht es mit einem Paukenschlag zu Ende: Nach Hoffnungen auf ein leidlich entspanntes Weihnachtsfest gibt es nun doch noch einen harten Lockdown.

Gesundheitsminister Spahn hat es schon im April geahnt: „Wir werden in ein paar Monaten wahrscheinlich viel einander verzeihen müssen.“ Nicht nur den Politikern und Wissenschaftlern, die die eine oder andere Fehleinschätzung zu verantworten haben, zuerst „Masken nutzlos“ dann Maskenpflicht usw., die zuerst Hygienekonzepte forderten, dann aber trotzdemRestaurants und Cafés schlossen, verzeihen müssen wir auch den Verharmlosern, die von einer „normalen Grippe“ reden, davon, dass die Leute nur aus Angst sterben, obwohl doch die Krankheit gar nicht existiert. Können wir uns noch verstehen und verzeihen, oder zerfallen wir in polarisierende Gruppen?

Aber nicht nur Corona hat unser Leben verändert. Die Klimakrise ging weiter, wieder war es viel zu warm, gingen Wälder in Flammen auf, taute das Eis der Gletscher und der Permafrostboden in Sibirien. Bei uns war der Sommer zu heiß, unsere Wälder trockneten aus und wir müssen auch mit einem viel zu warmen Winter rechnen - ohne Schnee! Auch die kriegerischen Konflikte tobten weiter, trieben Menschen in die Flucht, während sich Europa abschottet und mit seinen eigenen Krisen beschäftigt ist: Brexit, „illiberale Demokratien“, wachsende soziale Ungleichheit.

„Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch“, dichtete Hölderlin, der in diesem Jahr 250.Geburtstag hatte. Die Entschlossenheit, wie die Politik auf die Pandemie reagiert hat, hat uns gezeigt, dass es doch geht: Gesellschaften können in der Krise zusammenhalten und auch radikale Veränderungen sind möglich, wenn uns allen die Gefahr bewusst ist. Wir können der Wissenschaft vertrauen, auch wenn sie nicht alles weiß.

Die Einsicht setzt sich durch, dass wir uns als Menschheit gemeinsam den Krisen stellen müssen, die durch unser eigenes Verhalten ausgelöst wurden. Noch erscheint die Begrenzung der Erderhitzung nicht unmöglich, doch nur bei einer engen Zusammenarbeit aller Länder in der Welt. Bleiben Sie optimistisch und bleiben Sie gesund! Ein frohes Weihnachten 2020 und einen guten Rutsch!(WH)

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